Johanna Tschirpke – Wie mir die Natur das Loslassen beibrachte


Ahoi, ich bin Johanna!

Als Rheinländerin ist der Segelsport auf jeden Fall nicht das Erste, woran man denkt, auch wenn viel Wasser rund um Bonn zu finden ist. Viele verrückte Zufälle und noch mehr Schnapsideen waren es zu verdanken, dass mein Mann (Norman) und ich 2018 auf einem Segelboot landeten. Nicht, dass wir ernsthafte Segelerfahrung hätten vorweisen können…

 

Doch durch einen einwöchigen Segelurlaub an der dänischen Südsee (Ostsee) inspiriert, entschieden wir 2017 alles auf eine Karte zu setzen und ziemlich viel Geld in den Kauf eines Segelboots zu investieren. Klar war: Das Budget ist klein. Daher war unsere SY IRMA auch etwas älter als wir selbst. Zusätzlich entschieden wir, diese Entscheidung gleich mit einem Umzug an die deutsche Ostseeküste zu verbinden und auch auf die Wohnungssuche zu verzichten.

 

Die erste Hürde, die es nach der Bootsuche, dem Kauf und der Jobsuche zu bewerkstelligen galt, war die Überführung des Segelboots von Mallorca nach Deutschland. Mit einer Woche Segelerfahrung ein langer Weg raus aus dem Mittelmeer, entlang der Algarve, weiter Richtung spanischer Atlantikküste bis Höhe dem Cap Finistère (bekannt als Endpunkt des Camino de Santiago) und weiter über die unter Seglern gefürchtete Biskaya gen Bretagne, um dann schließlich im englischen Kanal langsam, aber sicher den Nord-Ostsee-Kanal anzusteuern.

 

Ein großes Abenteuer, vielleicht sogar das größte unseres bisherigen Lebens!

Ich möchte ehrlich sein, wir waren super aufgeregt und versuchten zunächst verzweifelt, weiteres Know-how an Bord zu lotsen. Doch außer moralischem Beistand in Form von Familienmitgliedern reichte das Budget nicht für einen Profiskipper.

 

Norman flog alleine nach Mallorca und segelte die ersten 10 Tage nach einer intensiven Einführung durch den Boots-Verkäufer auf eigene Faust nach Malaga. Der erste Erfolg: ohne sich selbst oder das Boot zu versenken. Ich zu Hause organisierte währenddessen den Umzug, fuhr den Transporter gen Lübeck, lagerte unsere Sachen ein und machte Druck!!!

Wenn du merkst, dass du mit der Natur nicht verhandeln kannst!

Du musst wissen, ich liebe To-do-Listen, ich liebe es, wenn alles ordentlich ist und ich das Gefühl habe, ich bin „on the top oft Things“, wie man im Englischen so schön sagt. Man könnte es auch Kontrollzwang nennen 😉 Als natürlicher Chaot gibt mir diese unnatürliche Routine Sicherheit. Sicherheit durch Kontrolle, durch Zwang und verbissene Disziplin.

 

Dieses antrainierte Muster trieb mich dazu, Normans Reisefortschritt stets mit Argusaugen im Blick zu behalten und falls notwendig, den eng getakteten Plan noch mal (und noch mal) in Erinnerung zu rufen! Und ich sage es dir, er war deutlich HINTER dem Plan! Norman versuchte mir jedes Mal mit der Geduld eines Stoikers zu vermitteln, dass man mit dem Wind und dem Wetter nicht verhandeln kann. Ich verstand es erst einmal nicht!

 

Als ich später in Porto (Portugal) zustieg, wurde mir erst einmal das Ausmaß unseres Vorhabens deutlich. Die Atlantik-Dünung war gewaltig. Ich weiß noch, wie meine Knie nachgaben, als ich am Mast stand, um das Großsegel einzuholen und ich gefühlt in 6 Meter tiefe Wellentäler blickte und dabei versuchte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Seitdem war ich ein bisschen nachsichtiger. Aber nur ein bisschen.

 

Auch als wir nach einem viel zu kalten Winter (-15 Grad) ein Jahr später Vollzeit an Bord reisten und arbeiten viel es mir superschwer, meine Pläne loszulassen. Ich arbeitete nun selbstständig als Freelancer die ganze Woche von Bord aus und wie von Hexenhand war uns am Wochenende der Wind nicht gut gesonnen. Als ob ich es mir nicht hätte selbst aussuchen können, saß ich verbissen immer zur selben Zeit morgens um 8 Uhr am Laptop und ließ den Griffel erst um 17 Uhr (deutsche Zeit) fallen. Verrückt!

 

Durch meine eigenen „ambitionierten Ziele“, die uns bei der Verwirklichung unseres Segellebens ganz klar schon gute Dienste geleistet hatten, kamen wir nun in Situationen, die Norman, der alte Abenteurer super wegsteckte, ich aber deutlich zu kämpfen hatte. Nicht, dass ich seekrank geworden wäre, nein!

 

Ich entwickelte ausgewachsene Panikattacken auf See.

Du musst wissen, ein Segelboot ist zum einen eher langsam unterwegs. Und zum anderen bewegt es sich permanent durch den Wellengang auf drei Bewegungsachsen im „Raum“ (Seegang). Zudem umfassen die Reisestrecken insbesondere an der Atlantikküste meist den ganzen Tag oder sogar noch längere Zeiträume UND das Wichtigste:

 

Beim Segeln kannst du nicht rechts ranfahren und eine Pause von der Situation machen. Auch wenn wir uns für einen Abbruch des Törns entschieden, konnte es Stunden dauern, bis wir im nächsten Hafen festgemacht hatten. Eine Situation, mit der ich sehr zu kämpfen hatte.

 

So konnte es nicht weiter gehen!

Anstatt dem Segeln, der Natur und meiner Selbstständigkeit meinen unnatürlichen Zwang aufdrücken zu wollen, musste ich mich endlich anpassen, sonst würde das hier NICHT funktionieren. Ich entschied mich, alte bewährte Techniken in die Bordroutine einzubauen:

 

Ich verwarf zunächst all unsere Pläne und genoss einen „faulen“ Sommer an der Algarve vor Anker. Wir wechselten nur den Ankerplatz, wenn wir neues Wasser benötigten oder doch mal in eine andere Bucht segeln wollten. Zeit spielte keine Rolle mehr! Rückblickend einer der schönsten Sommer meines (bisherigen) Lebens 😊

 

Mit Einschlafmeditationen kam ich meist auch in stürmischen Nächten zur Ruhe, anstatt mir im Bett liegend ein Worst-Case-Szenario nach dem Nächsten auszumalen und im Schlafanzug bei Wind und Wetter an Deck herumzuturnen und nach dem Rechten zu schauen. Oder wenn es wirklich zu doll wurde, erlaubte ich mir auch eine Auszeit von Bord und ließ es mir in einem Hostel oder Airbnb gut gehen.

 

Bei aufkeimenden Panikattacken konzentrierte ich mich auf meine Atmung, versuchte nicht gegen die Bewegung des Bootes zu arbeiten, sondern ließ mich auf den Rhythmus ein. Ich suchte mir Ablenkung in Form von Knoten üben, Podcast hören, nach Delfinen Ausschau halten, singen oder nach Landluft schnuppern…

 

Aber irren ist menschlich und so gelang es mir natürlich nicht immer, meine alten destruktiven Muster von Bord zu werfen. Doch wie heiß es so schön: Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung!

 

Warum du jeden Tag Erbsen zählen solltest!

Meine Aufmerksamkeit richtete ich nun noch mehr auf die Schönheit der Natur und übte mich in Dankbarkeit und legte meine Listen beiseite. Meine Mama hatte mir dazu dankenswerterweise die tolle Geschichte vom Erbsenzähler (Uwe Heimfeld) und einen kleinen Beutel mit getrockneten Erbsen geschenkt. Und ganz ehrlich gibt es denn etwas Schöneres, als umgeben zu sein von Delfinen, Mondfischen, Krebsen und Seevögeln… ?

 

Ich entdeckte meine Leichtigkeit in den Momenten der Entzückung wieder, wenn z. B. eine Delfin-Schule vorbeischaute oder wir lautlos über das Wasser segelten, oder ein traumhafter Sonnenuntergang, der einen herrlichen Tag beendete oder wir auf einen herrlichen Bauernmarkt einkauften oder wir den nächstgelegenen Gipfel erklommen und in der Bucht unsere Irma bewunderten. Und das Beste:

 

Diese Erinnerungen kann mir keiner mehr nehmen!

Egal, was gerade wieder für ein Terror in der Welt geschieht. Egal, ob auf dem Wasser oder an Land. Diese Erinnerungen sind mein Zen-Moment, durch den ich neue Energie, Dankbarkeit und Zuversicht tanken kann.

 

Seit Anfang 2021 leben wir nun im sagenumwobenen Harz, haben Irma verkauft und entdecken diese herrliche Ecke Deutschlands für uns. Denn wenn ich in der Natur bin, egal ob an Land oder auf dem Wasser, fühle ich mich verbunden mit meinem Urvertrauen. Jede Situation (auch Todesangst) rückt in eine sehr natürliche Relation „Tja, dann sterbe ich halt … “ Ich lasse alles los und komme in der Gegenwart an. Und was soll ich dir sagen, meine Erfahrungen geben dem rheinischen Sprichwort recht: „Et hätt noch immer jot jejange!“ (Es ist noch immer gut gegangen)

 

Heute begleite ich als Outdoor-Life-Coach, Feuerlauftrainerin und Mentorin (selbstständige) Frauen bei ihren großen Träumen und Zielen und nutze die Natur als beste Coaching-Methode der Welt. So erreichen meine Klientinnen ihre Ziele mit Leichtigkeit, denn sie erfahren ihre eigene Stärke, Mut und Zuversicht in der Natur und machen sich so zum eigenen Maßstab! Wenn dich das Thema interessiert, schau doch mal bei den Gipfelstürmerinnen vorbei: https://www.johannatschirpke.de